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Nur ein «Swipe» entfernt

Single
Böckin
29.07.20 - 16:30 Uhr
PIXABAY

Bau ein Haus, pflanz einen Baum, mach ein Kind – dass dieser Lebensentwurf nicht zwangsläufig auf jeden Menschen zugeschnitten ist, beweisen die anonymen Liebesbriefe ans wunderschöne, elende Single-Leben. Ein Hoch auf Selbstgespräche, Dosen-Ravioli und Liebeleien.

Okay, ich machs jetzt trotzdem, obwohl ich mir eigentlich geschworen habe, mich davon fernzuhalten. Ich klage über Tinder und dessen Brüder und Schwestern.

Der Grund dafür ist, dass ich mir die App in einem meiner schwächsten Momente tatsächlich heruntergeladen habe. Zum ersten Mal, denn bisher bin ich nur kurz davorgestanden.

Ich war allein zu Hause, ziemlich gelangweilt und hatte für das Wochenende auch keine grossartigen Pläne. Stattdessen liess ich mich von stumpfen Sitcoms berieseln. Ich mache die Pärchen darin verantwortlich, dass es so weit kam.

Ich will Onlinedating und allen voran Tinder nicht per se schlecht reden. Selbst ich kenne Paare, die sich über die Datingplattform kennengelernt haben und die in einer wundervollen Beziehung sind. Für mich ist es allerdings nichts. Nicht nur, weil ich datingfaul bin, sondern auch, weil mich das Konzept der App abstösst.

Wenn man sich die Bezeichnung der App im Store anschaut, bezeichnet sich Tinder als deine/n Wing(wo)man. «Matchen. Chatten. Daten.» – so ihr Slogan und weiter «Tindern ist einfach und macht Spass.». Ersteres befürworte ich, letzteres eher weniger. Spass hatte ich während meiner 20-minütigen Testphase nur bedingt.

Das Prinzip hingegen ist tatsächlich simpel: Swipe nach rechts, wenn Dir gefällt was Du siehst und nach links, wenn nicht. Einen Match kriegt man, wenn beide rechts swipen. Grossartige Selektierung, die rein auf dem gefilterten Aussehen basiert. Dann wird man in den Nachrichten mit einem lahmen Anmachspruch begrüsst und los geht’s mit dem virtuellen Daten.

Das Hauptproblem, das ich mit dieser Art zu daten habe, ist die Oberflächlichkeit. Natürlich kann man einige witzige Sätze in die Biografie packen, aber schliesslich gehts darum, wie gut dein Foto ankommt. Es geht mir gänzlich gegen den Strich, jemanden ausschliesslich seines Aussehens wegen bewusst daten zu wollen oder nicht.

In der «realen Welt» geschieht das auch, das ist mir schon klar. Man hat Präferenzen, was das Aussehen angeht, aber ich würde nie gänzlich deswegen entscheiden. Dieses Gefühl, obs passt oder nicht, das man nur haben kann, wenn man sich in die Augen sieht, geht verloren. Zudem ist das Tricksen auf Fotos dank Filter und Bearbeitungs-Apps heutzutage keine Kunst mehr.

Ein weiterer Punkt, der mich stört und wohl auch ein Problem meiner Generation ist, ist der endlose Nachschub. Beziehungen sind definitiv nicht die erste Priorität, um die es bei solchen Apps geht. Zwar wird dies gross angepriesen, doch in Wirklichkeit gehts um eines: Sex. Nutzer und somit potenzielle Partner gibt es zur Genüge und notfalls «swipet» man einfach bei jedem rechts. «Aber denk dran, im Zweifel lieber nach rechts swipen. Vertrau uns!» – sogar die App selbst gibt Dir diesen Ratschlag. Da soll noch jemand behaupten, Romantik sei tot …

Der dritte grosse Punkt sind die erhaltenen Nachrichten. Ich habe zwar während meiner Testphase nicht viel mehr als ein «Hallo» erhalten, aber von Freundinnen habe ich genügend Geschichten gehört. Nicht nur ist es für Männer schwer, ein Nein zu verstehen (aber das ist nochmal ein ganz anderes Thema), auch die Nachrichten selbst werden immer unangenehmer. Sagt man nach etwas hin und her schreiben, dass man kein Interesse hat, da man die Verbindung nicht spürt, wird man oftmals direkt beleidigt. Bestimmt nicht von jedem, doch es ist ein weit verbreitetes Problem, und es bringt mich nicht unbedingt dazu, die App herunterzuladen. Anstand scheint ein Fremdwort zu sein, sobald ein Bildschirm einander trennt.

Die Chance, dass ich die App erneut nutze ist ziemlich gleich null, ausser die Einsamkeit überkommt mich an einem verregneten Sonntag erneut. Aber selbst dann, müsste ich mich schon wahnsinnig allein fühlen.

Bis dann stolpere ich solo durch mein Leben und wer weiss, vielleicht stolpert mir ja demnächst jemand im realen Leben entgegen, der genauso eine Ablehnung gegen das «Swipen» hat.

Passt auf Euch auf, «swipet» im Zweifelsfall nicht nach rechts und liebt Euch selbst ein bisschen!

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