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Die Engadiner Tracht ist rot

Hans Peter
Danuser
19.05.20 - 04:30 Uhr

Hans Peter Danuser und Amelie-Claire von Platen sind im Engadin zu Hause und zeigen uns ihren Blickwinkel. Was bewegt Land und Leute? Wo ist das Engadin stark und wo hinkt es einzelnen Mitbewerbern hinterher? Und was geschieht auf politischer Bühne? Der Blog «Engadin direkt» berichtet persönlich und authentisch.

Die Engadiner Festtagstracht ist eine Pracht. 'Dieses leuchtende Rot, diese filigran gestickten Nelken, die feine weiße Spitze' schwärmt die Unterengadinerin Fadrina Hofmann und sieht darin ein 'Sinnbild für Migration', (SOS vom 10. 8. 2017). 

Sie erinnert mich an einen unserer Tour Guides im Kurverein, der den Journalisten, Reise-Agenten und Touristen jeweils erklärte, das Tuch der Tracht stamme ursprünglich von den 'roten Hosen der Franzosen', für die viele Engadiner während Jahrhunderten als Söldner Dienst geleistet hatten. Nach Heimkehr oder Tod blieb ihren Frauen und Töchtern die schmucke Uniform, die sie in die wunderschönen Trachten verarbeiteten....

Ich habe diese Geschichte nie historisch hinterfragt. Sie kam gut an, leuchtete ein und blieb haften. 'Se non è vero è ben trovato'.

Welch' gewaltiges und zumeist auch tragisches Geschäft das Söldnertum für die Bündner über lange Zeit war, wurde mir erst klar, als ich mich am Comersee vermehrt mit unserer Vergangenheit und Geschichte beschäftigte.

Durch ihre spektakulären Siege gegen den Burgunder Herzog Karl den Kühnen bei Grandson, Murten und Nancy galten die Eidgenossen Ende des15. Jahrhunderts plötzlich als beste Kämpfer ihrer Epoche. 1497 formierte der französische König seine erste Schweizer Garde, die seinen Nachfolgern bis 1792 dienen sollte. 1506 folgte der Papst seinem Beispiel und gründete die Schweizergarde zu seinem persönlichen Schutz im Vatikan, die auch heute – nach über einem halben Jahrtausend - noch im Dienst steht: die älteste, letztlich ungeschlagene Garde der Welt.

Sie seien die Besten, aber auch die Teuersten, klagte der Papst, und tatsächlich wussten die 'Schweizer' um ihren Wert. 'Pas d'argent, pas des Suisses', hieß es schon damals. Sie waren stark und tüchtig mit der Waffe, aber auch treu und verlässlich dem König und Papst ergeben - bis in den Tod. Und sie prägten das Qualitäts-Image der Schweiz und ihrer Armee bis in unsere Zeit hinein.

Nach der überraschenden Wahl eines Argentiniers zum Papst fand im Dom von Buenos Aires die erste gemeinsame Ausstellung des Vatikans und der Schweiz über die Schweizergarde statt (die wir mit Alphornklängen eröffneten). Gesponsert war sie u.a. von Victorinox, die mit der Marke 'Swiss Army' auf der ganzen Welt erfolgreich ist, obwohl unsere eigene Schweizer Armee seit über 200 Jahren Gott sei Dank nie mehr Krieg führen musste.

1512 machten die Eidgenossen die damalige Weltstadt Mailand zum Protektorat, und die Bündner besetzten das Veltlin, Valchiavenna und Bormio. Drei Jahre später nahm diese Großmachtpolitik mit der traumatischen Niederlage bei Marignano gegen die Franzosen ihr jähes Ende. Es war der letzte Krieg unter 'Schweizer Flagge'.  Fortan galt die Neutralität als außenpolitisches Credo. Was keineswegs das Ende des Söldnertums bedeutete.

Im Gegenteil: Der französische König bot den besiegten Eidgenossen einen Friedensvertrag, als ob sie gesiegt hätten. Er flutete sie mit Geld, um sie sich weiterhin als schlagkräftige Söldner und verlässliche Gardisten zu sichern. 1525 folgten mit der französischen Niederlage bei Pavia gegen die deutsch/habsburgischen  Landsknechte und 1527 mit deren 'Sacco di Roma' weitere traumatische Schlappen für die Schweizer und Bündner. Die plündernden Söldner Kaiser Karls V. dezimierten die Schweizer Garde beim Sturm auf den Vatikan bis auf 'wenige Mann', die den Papst in letzter Minute in die Engelsburg retteten.

Das schlimmste Massaker an Schweizer Soldaten in fremden Diensten erfolgte 1792 beim Sturm auf die Bastille - eine unvorstellbare Katastrophe bei der französischen Revolution in Paris.

Wenn einer heute bei uns wieder einmal auf hohem Niveau jammert und alles kritisiert, empfehle ich ihm, doch mal 'Bastille' oder 'Sacco die Roma' zu googeln und bei Wikipedia nachzulesen, was wirklich übel ist. Vielleicht merkt er dann, wie gut und schön wir es hier doch haben - trotz Corona-Einschränkungen.

Beim Wiener Kongress 1815 verlor Graubünden zwar endgültig das Veltlin, erlangte als Teil der Schweiz aber auch die Früchte und den Segen der Neutralität und politischen Unabhängigkeit: über 200 Jahre Frieden auf einem Kontinent, der in dieser Zeit unzählige blutige Konflikte samt zweier Weltkriegen durchlitten hat. Dank diesem Glück, viel Geschick und Arbeit geht es unserem Land und Kanton heute wirtschaftlich so gut, das sie auch eine Corona-Pandemie ohne Absturz überstehen können.

Und die Engadinerinnen sind bei der Pflege ihrer Trachten für Traditionsanlässe wie den Chalandamarz, die Schlitteda und den White Turf nicht mehr auf alten Uniformstoff aus fremdem Kriegsdienst angewiesen....

 

 

 

 

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