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Afrikanische Hanseaten

 Lutz Pfannenstiel über den Schweizer Gruppengegner Kamerun.

Südostschweiz
23.11.22 - 04:30 Uhr
Hoffnungsträger: Kameruns Eric Maxim Choupo-Moting bereitet sich auf die WM vor.
Hoffnungsträger: Kameruns Eric Maxim Choupo-Moting bereitet sich auf die WM vor.

In der WM-Kolumne berichten die Sportredaktorinnen und -redaktoren täglich über ein aktuelles Thema der Fussball-WM.

von Lutz Pfannenstiel*

Ich war gerade mal elf Jahre alt, als ich diesen Traum hatte: Ich hielt einen Elfmeter von Gary Lineker. Am Vorabend hatte ich ein Schlüsselerlebnis. Auf unserem Fernseher daheim in Zwiesel lief ein WM-Match, und ich sass wie gebannt vor dem Schirm, weil da ein Torwart war, der mich faszinierte. Die Nummer 1 von Kamerun sollte mein absolutes Vorbild werden: Thomas N’Kono. Schwarze lange Hose als Markenzeichen; selbst bei 40 Grad im Schatten und eine Präsenz im Strafraum, die ihresgleichen suchte. Ich war begeistert. Seine Dominanz in der Luft und sein Reaktionsvermögen inspirierten mich. Ich wollte so werden wie N’Kono, der bei Espanyol Barcelona als Legende in die Vereinsgeschichte einging.

Genau wie für Gigi Buffon, die italienische Legende im Tor, war N’Kono mein Fussball-Gott. Mit dem Schweizer Gruppengegner Kamerun verbindet mich also eine ganz persönliche Geschichte. Dass ich später selbst jahrelang auf dem afrikanischen Kontinent tätig sein würde, davon hatte ich damals keinen blassen Schimmer.

Heute ist Kamerun eine Macht im afrikanischen Fussball. An der Spitze des Verbandes steht mit Samuel Eto ein Weltstar, der versucht, das in Afrika handelsübliche Chaos zu ordnen. Aus seiner Talentschmiede, der Eto Academy, stammt der heutige Nationaltorwart André Onana, der über den FC Barcelona und Ajax Amsterdam in diesem Sommer bei Inter Mailand gelandet ist. Und mit Rigobert Song haben sie einen ebenso welterfahrenen Trainer, der die «Lions
Indomptables» zur WM nach Katar geführt hat. Er hat in Frankreich, beim FC Liverpool, beim 1. FC Köln und in der Türkei gespielt und ist Kameruns Rekordnationalspieler. Ich persönlich bin aber am meisten gespannt auf die Performance von Eric Choupo-Moting. Der Torjäger explodierte zuletzt bei den Münchner Bayern. Er ist so gut in Form, dass Manchester United bei den Bayern angeklopft haben soll. Kann Choupo seinen Torhunger auch auf der WM-Bühne stillen?

Weit gereist: Der ehemalige deutsche Fussballtorhüter Lutz Pfannenstiel mit einer Länderfahnenkette.
Weit gereist: Der ehemalige deutsche Fussballtorhüter Lutz Pfannenstiel mit einer Länderfahnenkette.
Bild Archiv

Er ist ein Hamburger Junge, wurde in Altona geboren, spielte für den FC St. Pauli und schaffte es in die Jugend-Auswahlmannschaften des DFB. Dann entschied er sich für die Heimat seines Vaters, für die «unzähmbaren Löwen». In München entdeckte man den Lewandowski-Backup sozusagen auf der Ersatzbank, als es keinen Neuner mehr gab. Choupo hat eine tolle Technik, liebt das 1-gegen-1. Hätte so einer nicht auch Hansi Flick helfen können, zumal Deutschland einen Neuner sucht? Die Frage erübrigt sich, denn Choupo-Moting spielt seit Jahren für Kamerun. Genau andersrum liegt der Fall bei Deutschlands jüngstem Spieler. Youssoufa Moukoko wurde in Kameruns Hauptstadt Yaounde geboren. Er war zehn Jahre alt, als sein Vater ihn nach Deutschland holte. Auch er spielte am Millerntor. Ob er als Kind von einer solchen Karriere mit dem Adler auf der Brust geträumt hat? Und auch ob der Teenager den inzwischen 66-jährigen Thomas N’Kono kennt, bezweifle ich. Moukoko und Choupo-Moting – zwei afrikanische Hanseaten, auf die ich mich riesig freue bei dieser WM.

*Der 49-jährige Deutsche Lutz Pfannenstiel ist der weltweit einzige Fussballer, der in jedem der sechs anerkannten Kontinentalverbände einem professionellen Verein angehört hat. Aktuell arbeitet der ehemalige Torhüter als Sportdirektor bei der MLS-Franchise St. Louis City.

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