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Es ist nicht mehr, wie es einmal war

10.09.20 - 04:30 Uhr

Im Blog «Anpfiff» berichten Journalistinnen und Journalisten jede zweite Woche aus der Südostschweiz-Sportredaktion.

René Weber* über den neuen Ist-Zustand in den Stadien

Sonntagabend. St. Jakob-Park in Basel. Es ist einer meiner ersten Matchbesuche seit Monaten. Die Vorfreude auf das Nations-League-Spiel des Schweizer Fussball-Nationalteams gegen Deutschland ist gross. Auch, weil es gleichzeitig die Rückkehr zum journalistischen Alltag bedeutet. Zuletzt hatte sich meine Arbeit wegen des Coronavirus stark verändert. Ich mache damit keine Ausnahme. Meinen Journalistenkollegen geht es genauso. Es ist in Zürich, Bern, Delsberg und Baden das Gleiche wie in der «Südostschweiz»-Zentrale in Chur. Das Coronavirus bestimmt landesweit unsere Redaktionsgewohnheiten.

Als Sportverantwortlicher dieser Zeitung ist die Planung eine meiner Aufgabe. Was finden wann und was wo statt? Welche Anlässe decken wir wie ab? Wer geht wohin? Fragen über Fragen. Zuletzt stellten sich diese kaum. Fast nichts fand statt. Viele Events und Spiele waren abgesagt. Auch wenn mittlerweile erste Sportveranstaltungen mit Sicherheitskonzepten und (fast) ohne Zuschauer wieder durchgeführt werden konnten, ist es längst noch nicht das, was wir und auch ich uns wünschen. Nein, ein Fussballspiel ohne Zuschauer, der Besuch eines Eishockeymatchs mit Schutzmaske und ein Skirennen vor halb leeren Tribünen, das ist es nicht. Das soll und darf es auch nicht sein. Das will niemand.

Der grösste Gegner des Sports bleibt vorerst weiterhin das Coronavirus. Es zu besiegen, das wird nicht einfach. Das braucht Geduld. Das wird Zeit in Anspruch nehmen. Zeit, die der Sport nicht hat – insbesondere der professionelle Sport nicht. Er kämpft ums Überlegen. Wer mit Millionenbudgets hantiert, der hat Probleme, wenn die Einnahmen ausbleiben. Vielleicht wäre es nun an der Zeit, diese Ausgaben einmal zu überdenken. Sind die überrissenen Lohnzahlungen und Prämien nicht zu hoch und unvernünftig? Sei es, wie es ist. Fakt ist, das Gejammere und die Drohungen der Klub- und Verbandsfunktionäre hat seine Wirkung nicht verfehlt. Kumuliert mit den Sport-Lobbyisten wurden die Entscheidungsträger in Bundesbern massiv unter Druck gesetzt. Die Folgen sind bekannt. Der Bundesrat ist von seiner Linie abgewichen, lässt die Stadien schon Ende Monat für Fans wieder öffnen.

Grundsätzlich ist das in Zeiten von Corona eine positive Meldung. Dem Sportlerherz tut sie mit Sicherheit gut. Ist die Öffnung aber wirklich gut für den Sport und unser Land, wenn sich ab dem 1. Oktober in Neuenburg, St. Gallen und Bern die Fussball-Fans wieder versammeln? Geht es gut, wenn in Davos, Rapperswil und Langnau die Tribünen zu zwei Dritteln wieder besetzt sein werden. Riskieren wir damit nicht vielmehr einen zweiten Lockdown – nicht nur im Sport? Die Wahrscheinlichkeit, dass mit Zuschauern an Sportanlässen das exponentielle Wachstum der Infektionsrate ansteigen wird, ist gross, ja sogar wahrscheinlich. Vor allem, weil wir doch alle wissen, dass es viele Sportfans mit Vorschriften und Anweisung nicht so haben.

Ob sie der Besuch von sportlichen Grossanlässen mit Fiebermessen, Schutzmasken und Sitzplatzpflicht begeistern wird, muss sich zeigen. Eine, wenn nicht die entscheidende Frage ist nämlich, ob die Zuschauer unter den neuen Bedingungen überhaupt regelmässig in die Stadien gehen. Ich bezweifle das, weil ich seit dem Nations-League-Match am letzten Sonntag im St. Jakob-Park weiss, dass es definitiv nicht mehr ist und vorerst auch nicht mehr sein wird, wie es einmal war. 

*René Weber ist Leiter Sport «Südostschweiz». 

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