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Abseits der Welt ist auch Welt

Reserviert Euch schon einmal das Wochenende vom 11. bis 13. Oktober. Denn dann finden die ersten Obervazer Kulturtage statt. In den drei Dörfern Lain, Muldain und Zorten dreht sich alles um die Vergangenheit, Vorfahren, ausgewanderte und zugewanderte Vazer – und ums Essen.

Kristina
Schmid
20.09.19 - 11:15 Uhr
Leben & Freizeit
Drei Tage Kultur gibt es in den drei Dörfern Lain, Muldain und Zorten.
Drei Tage Kultur gibt es in den drei Dörfern Lain, Muldain und Zorten.
MARCO HARTMANN

«Auch hier ist Welt.» Dieser Satz trifft immer zu. Egal wo man steht. Es ist der letzte Satz eines Briefs, den Hilarius Rischatsch auf einer Überfahrt in die USA seiner Familie schrieb. Hilarius Rischatsch war Kurarzt in Alvaneu Bad. Mitte des 19. Jahrhunderts wanderte er in die USA aus, weil er noch etwas anderes sehen wollte. Er hatte den Mut, seine Familie und sein Zuhause zu verlassen. Während der Überfahrt hat er den sogenannten Atlantik-Brief verfasst. Darin schreibt er am Schluss: «Habt keine Angst. Mir geht es gut. Auch hier ist Welt.»

«Auch hier ist Welt.» Es ist das Motto des Obervazer Kulturfestivals. Kein Wunder, wird also diesem Satz an besagtem Wochenende ein ganzes Theaterstück gewidmet – basierend auf diesem Brief. Der Bündner Schauspieler René Schnoz wird dabei die Rolle des Ilarius Risatsch spielen, während das Stück musikalisch umrahmt wird. «Die Geschichte von Ilarius Risatsch ist natürlich nur eine Geschichte von vielen Vazer Auswanderer-Geschichten. Und deshalb bleibt sie nicht die Einzige, die an diesem Kulturfestival Beachtung findet», erklärt Annina Giovanoli, die Initiantin des Festivals.

Geschichte und Genuss

Tatsächlich drehen sich viele Programmpunkte um Vazer Auswanderer. Aber nicht nur. «Unsere Vorfahren mussten gehen, um ihr Glück zu finden. Aber ich wollte am Festival zeigen, dass die Welt auch hiergeblieben ist», sagt Giovanoli. Mit anderen Worten: Abseits von Welt ist eben auch Welt. Und die Welt in Lain, Muldain und Zorten hat eben auch einiges zu bieten. «Wir zeigen Kultur, die es in diesen Dörfern noch heute gibt», sagt Giovanoli. So treten am Kulturfestival etwa das Älplerchörli Obervaz oder der Chor da Donnas Vaz auf.

«Touristiker sagen oft, dass man Kultur machen muss. Kultur ist schliesslich ein wichtiger Bestandteil im Geschäft Tourismus. Ich bin aber der Meinung, dass man Kultur nicht machen, sondern leben muss. Unsere Dörfer haben schon eine wunderbare Kultur. Man muss sie nur zeigen und leben», sagt Giovanoli. Und genau das versuchen die Initianten, am Vazer Kulturfestival zu erreichen. Besucher, welche die drei Dörfer nicht kennen und nur aus der Ferne betrachten, sollen an diesem Wochenende die Orte authentisch erleben. «Sie sollen spüren, was hier verwurzelt ist. Und neben der Vergangenheit und Geschichte der Dörfer spielt die Kulinarik eine grosse Rolle», sagt Giovanoli. So werde in den Restaurants und Beizen nur einheimisches Essen serviert. Besucher dürften dazu der Bäuerin beim Brot backen über die Schulter schauen, dem Zuckerbäcker und dem Koch in die Töpfe gucken und der Winzerin die Hand schütteln.

Das Früher ins Heute integriert

«Wir bauen nichts ins Dorf hinein. Wir bespielen lediglich die Schauplätze, die bereits vorhanden sind», sagt Giovanoli. Zwei Jahre lang war sie damit beschäftigt, dieses Festival auf die Beine zu stellen. Die letzten zehn Monate davon intensiv. Und nun steht das Festival vor der Tür: In gut einem Monat gibt es drei Tage Kultur in drei Dörfern.

Die Geschichten der Auswanderer stammen aus dem Buch «Auch hier ist Welt» von Donat Rischatsch, der ebenfalls am Festival mitwirkt. Gemeinsam mit Giovanoli hat Rischatsch einen theatralisch-szenischen Dorfrundgang geplant, bei dem die Geschichten einiger Auswanderer aus dem 19. Jahrhundert erzählt werden. Nur werden ihre Geschichten so vorgetragen, als würden die Menschen in der heutigen Zeit auswandern.

Rund 150'000 Franken hat das Festival gekostet. Gut 43 Programmpunkte wurden auf die Beine gestellt. Und mindestens 20 namhafte Bündner wurden engagiert. Man darf also gespannt sein.

Kristina Schmid berichtet über aktuelle Geschehnisse im Kanton und erzählt mit Herzblut die bewegenden Geschichten von Menschen in Graubünden. Sie hat Journalismus am MAZ studiert und lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern im Rheintal, worüber sie in ihrem Blog «Breistift» schreibt.

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