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Wir alten, weissen Männer

Frédéric Zwicker, Autor, Musiker und Kolumnist aus Rapperswil-Jona, über die Unart, dass alle einander den Mund verbieten wollen.

Linth-Zeitung
13.08.19 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit

von Frédéric Zwicker*

«Mansplaining» ist ein Begriff, der aus den englischen Wörtern «Man» – Mann – und «explain» – erklären – geschaffen wurde. Er bezeichnet herablassende Erklärungen von Männern, die meinen, sie wüssten mehr über ein Thema als ihr weibliches Gegenüber, obwohl sie selber Wissenslücken aufweisen. Der Begriff geht auf die US-amerikanische Publizistin Rebecca Solnit und das Jahr 2008 zurück. Ursache für die Kreation war eine von Frauen oft empfundene männliche Überheblichkeit: Ich, der kluge Mann, erkläre dir, der von Natur aus mit mangelnder intellektueller Höhenflugfähigkeit ausgestatteten Frau, die Welt. Ein damit verwandtes Konzept ist jenes vom alten, weissen Mann. Im Zuge von #metoo hat es an Kraft gewonnen. Es sind die alten, weissen Männer, welche seit Jahrhunderten die Geschicke der Menschheit lenken. Viele finden, es wäre an der Zeit, dass andere mehr zu sagen hätten.

Die Entstehung dieser und ähnlicher Begriffe ist absolut nachvollziehbar. Es lohnt sich durchaus, sich Gedanken darüber zu machen. Eine negative Randerscheinung ist aber die Art und Weise, wie sie in den vergangenen Jahren vermehrt eingesetzt werden. Immer häufiger dienen sie dazu, Leute mit abweichender Meinung mundtot zu machen. Ich beobachte das seit einiger Zeit in den Medien. In jüngerer Vergangenheit wurde ich im Zusammenhang mit Geschlechterdiskussionen auch persönlich mehrmals darauf hingewiesen, als Mann hätte ich sowieso keine Ahnung.

«Es sind die alten, weissen Männer, welche seit Jahrhunderten die Geschicke der Menschheit lenken.»

Ein ähnlicher Begriff wie das «Mansplaining» ist der des Orientalismus. Edward William Said, US-amerikanischer Literaturtheoretiker palästinensischer Herkunft, prägte ihn mit seinem 1978 erschienenen gleichnamigen Buch. Mit dem Begriff bezeichnet er den westlichen Blick auf die arabische Welt. Dieser Blick sei von einem Überlegenheitsgefühl geprägt. Der Westen gelte im Westen als Zivilisation, der Osten werde als mysteriöser Ort dargestellt und damit herabgesetzt.

Auch das Orientalismus-Konzept finde ich sehr interessant und einleuchtend. Auch damit habe ich aber negative Erfahrungen gemacht, als mir in Diskussionen über den Nahostkonflikt von einer Palästinenserin gesagt wurde, ich sei ein Orientalist und habe als weisser Europäer zu schweigen.

Wenn Männer keine Meinung vertreten dürfen, weil sie keine Ahnung haben, wie es sich als Frau lebt, und Weisse nichts sagen dürfen, weil sie nie in der Haut Nicht-Weisser gesteckt haben, und Heterosexuelle keine Ahnung haben, weil sie nie homosexuell waren, dann dürfen sich bald nur noch bisexuelle Transgender-Albinos aus Äquatorialguinea äussern.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Bisexuelle Transgender-Albinos aus Äquatorialguinea sollen sich äussern, und hetero-, homo- und bisexuelle Weisse, Asiaten und Lateinamerikanerinnen sollen zuhören und sich hinterfragen. Aber diese Unart, anderen den Mund zu verbieten, ist idiotisch. Denn irgendwo auf der Welt sind wir alle alte, weisse Männer.

*Frédéric Zwicker, Rapperswil-Jona, ist Autor und Musiker.

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