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«Vintage»: Extravaganz oder Mainstream?

Luca Brunner aus Rapperswil-Jona ist Journalist, Mitgründer zweier Politnetzwerke und passionierter Querdenker. Er lebt und arbeitet in New York und schreibt von dort aus seine Kolumne – heute über stilvolles Altern.

Linth-Zeitung
03.07.19 - 11:39 Uhr
Leben & Freizeit

von Luca Brunner

Das englische Adjektiv «vintage» hat viele Bedeutungen. Nach der Durchsicht verschiedener Wörterbücher habe ich mich für «stilvoll gealtert» entschieden. Ursprünglich stammt der Begriff vom lateinischen Wort «vindemia» ab, was interessanterweise «Weinlese» bedeutet. Doch legen wir das etymologische Gesäusel einmal beiseite. Wie bei vielen anderen Mega-Trends hatte New York City auch bei der Retro- oder eben «Vintage»-Bewegung seine Finger im Spiel. Dieser Tage lässt sich die Rückbesinnung auf alte Designs oder Verhaltensweisen überall erkennen. In der Mode ist das Ganze wohl am sichtbarsten.

Auch wenn der kürzlich verstorbene Modeschöpfer Karl Lagerfeld behauptete, «wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren»: Insbesondere «stilvoll gealterte» Sportkleider sind voll im Trend. Wo genau die Grenze zwischen altmodisch und «alt, aber oho» verläuft, überlasse ich Ihrer Fantasie. Vielleicht wäre das ein spannendes Tischgespräch für heute Abend? Probieren Sie es mal aus. Glauben Sie mir: Die Meinungen gehen weit auseinander!

Derweil schiessen hier im «Big Apple» die «Vintage»-Kleiderläden nach wie vor wie Pilze aus dem Boden, so etwa in meinem Quartier Bushwick. Im «L Train Vintage» (siehe Bilder rechts) findet man vom Leopardenkostüm aus «Studio 54»-Zeiten bis zum Hochzeitskleid im 20er-Jahre-Stil alles, was das Herz begehrt. Für die beiden erwähnten Objekte würde man dort wohl nicht mehr als 20 Dollar bezahlen. Demgegenüber stehen die bekannten Modeboutiquen im Fashion-Quartier SoHo, welche Manchester-Anzüge zum Preis meiner Monatsmiete anbieten. Mottenlöcher bereits beim Kauf inbegriffen.

Im «L Train Vintage» fragte eine Kollegin von mir kürzlich die Verkäuferin: «Kann man denn in New York überhaupt noch modisch auffallen?» Die Antwort war klipp und klar: «Ja klar. Ganz einfach. Kleide dich einfach so wie heute, so langweilig schaut hier nämlich keiner aus.» Autsch, ein Exempel amerikanischer Direktheit! Das Fazit: In dieser Stadt ist Extravaganz gewisser- massen Mainstream geworden. Nichtsdestotrotz sehe ich die «Vintage»-Hemden mit Grossmutter- kragen und die violetten Retroschuhe in meinem Schrank nach wie vor als Ausdruck meines kreativen und leicht skurrilen Charakters. Auf jeden Fall bin ich mit meinen 31 Jahren aber sicher noch nicht alt, nur «stilvoll gealtert».

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