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«Ich dachte, ich spinne»

Laut Umfrage sehen viele Bündner keinen Handlungsbedarf bei der Gleichstellung von Mann und Frau. Überraschend, und irgendwie auch nicht – findet Pierina Hassler. Die Feministin und Journalistin schreibt nicht selten über dieses Thema für die Zeitung «Südostschweiz» – und findet dabei klare Worte.

Kristina
Schmid
11.06.19 - 04:30 Uhr
Leben & Freizeit
Überall auf der Welt streiken die Frauen für mehr Gleichberechtigung von Mann und Frau.
Überall auf der Welt streiken die Frauen für mehr Gleichberechtigung von Mann und Frau.
JUAN HERRERO

Pierina Hassler, unsere Leser und Leserinnen sehen mehrheitlich keinen akuten Handlungsbedarf bei der Gleichstellung. Was hast Du im ersten Moment gedacht, als Du das gelesen hast?

Ich dachte, ich spinne. Das hat mich extrem irritiert. In den vergangenen 25 Jahren ist in Sachen Gleichstellung manches erreicht worden, aber vieles auch nicht. Es liegt einiges im Argen. Noch immer erhalten Frauen für die gleiche Arbeit weniger Lohn als die Männer. Noch immer hapert es mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Noch immer ist offener und verdeckter Sexismus alltäglich. Noch immer sind Frauen untervertreten in Politik und Wirtschaft. Und doch sehen so viele Bündnerinnen und Bündner keinen Handlungsbedarf – eigenartig.

Wie erklärst Du Dir das?

Ich denke jetzt mal positiv: Vielleicht liegt es daran, dass Graubünden eher ländlich geprägt ist. Vielleicht funktioniert das mit der Gleichstellung in solchen Regionen tatsächlich besser. Vielleicht sind Bündner Männer auch einfach supercool. Aber vielleicht ist man in der Stadt auch einfach sensibilisierter in Sachen Gleichstellung.

Vielleicht denken die Menschen in ländlichen Gebieten aber auch einfach konservativer?

Manche sicher. Ich denke aber auch, dass ein Teil der Bevölkerung mit dem Ist-Zustand tatsächlich zufrieden ist. Frauen und Männer die glauben, das mit der Gleichstellung werde überbewertet, ärgern sich ja höchstens, weil ich und andere Journalisten darüber schreiben. Das ist jetzt nicht zynisch gemeint. Über zufriedene Menschen rege ich mich auch nicht auf. Ich gönne ihnen, dass sie mit der vorliegenden Situation zufrieden sind.

Wie erlebst Du die Gleichstellung im Alltag?

Ich bin seit ewiger Zeit eine Feministin. Aber ich selber habe noch nie weniger als ein Mann verdient. Zumindest nicht, dass ich wüsste. Ich habe keine Kinder, muss mich also auch nicht um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf kümmern. Klar ist aber, dass jede hinterletzte Forderung der Frauen berechtigt ist.    

Du hast als Frau nichts nachteiliges erlebt und doch schreibst Du darüber in der «Südostschweiz»?

Natürlich. Als Journalistin sehe ich, dass gewisse gesellschaftlich relevante Themen in den Medien wenig stattfinden. Und dafür möchte ich mich engagieren. Ungerechtigkeiten liegen mir am Herzen, sie machen mich zornig.

Wann hat Dich das Thema Gleichstellung endgültig gepackt?

Schon als junge Frau, aber seit  der #Metoo-Bewegung bin ich wieder vorne mit dabei – als Journalistin und als Frau. Ich bin aber keine, die mit einem Designer-T-Shirt mit dem Aufdruck «Ich bin Feministin» herumläuft. Aber betreffend Lohnungleichheit würde ich durchaus ein No-Name-T-Shirt mit dem Aufdruck «Das ist eine Sauerei» tragen. Wenn es nicht unfair ist, dass ein Mann 1000 Franken mehr verdient, bloss weil er ein Mann ist, dann verstehe ich die Welt nicht mehr.

Was also sagst Du den Bündnern, die keinen Handlungsbedarf bei der Gleichstellung sehen?

Wenn man es von alleine nicht merkt, muss man Ungerechtigkeiten vielleicht selber erleben. Passiert es am eigenen Leib, reagiert man plötzlich sehr sensibel. Oder einfacher gesagt: Wenn der Kollege an der an der Supermarktkasse bei gleicher Stundenzahl und gleichem Alter ein paar Hunderter mehr verdient, ist das nicht lustig. Das gilt natürlich nur für die Frauen. Finden Männer Gleichstellung überflüssig, bin ich sprachlos.

Am Freitag, 14. März, findet der Frauenstreik statt. Mit diesem wollen auch Bündnerinnen über die fehlende Gleichstellung aufmerksam machen. Weshalb liegt Dir diese Aktion eigentlich so am Herzen?

Weil es wichtig ist. Weil der Streik ein starkes Zeichen ist. Und die schweizweiten Aktionen sind auch noch supercool. Das muss Frau unterstützen. Und ich bin mir fast sicher, dass Chur am 14. Juni brodelt. Das lässt dann die Umfrage ein bisschen vergessen :-)

Kristina Schmid berichtet über aktuelle Geschehnisse im Kanton und erzählt mit Herzblut die bewegenden Geschichten von Menschen in Graubünden. Sie hat Journalismus am MAZ studiert und lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern im Rheintal, worüber sie in ihrem Blog «Breistift» schreibt.

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