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Knochenarbeit auf dem Weg zur Integration

Integration zwischen Mörtel, Platten und Holzarbeiten: Die Vorlehre für Flüchtlinge im Baugewerbe verlangt viel handwerkliches Geschick. Wer Erfolg haben will, muss zupacken können – schon frühmorgens.

Südostschweiz
15.01.19 - 18:18 Uhr
Leben & Freizeit

von Ramona Nock

 

Wer den Raum betritt, wähnt sich auf einer riesigen Baustelle. Es klopft, hämmert, knarrt und surrt in jeder Ecke. Dazu Stimmengewirr, in der Luft hängt der Geruch von Farbe und Holzspänen.

Angosom Kahase kniet konzentriert am Boden und mischt Mörtel an. Der 20-jährige Eritreer, der in Uznach wohnt, lernt an diesem Morgen, wie man Bodenplatten verlegt. Er stellt den Eimer zur Seite und wischt sich mit dem Ärmel kurz über die Stirn. Die Arbeit mache Spass, sagt er in gebrochenem Deutsch. Ab Mitte Januar könne er in einer Firma in Rüti schnuppern gehen und noch mehr über den Beruf des Plattenlegers erfahren. Stolz zeigt er seine Arbeitsmontur.

Zielgruppe: Junge Flüchtlinge

Der junge Mann aus Eritrea ist einer von zwölf Flüchtlingen im Kanton St. Gallen, die derzeit die Integrationsvorlehre im Baugewerbe absolvieren. Im Bildungszentrum Polybau in Uzwil lernen die Teilnehmer die Grundlagen von fünf Berufen kennen: Gipser, Plattenleger, Abdichter, Gerüstebauer und Dachdecker. Dies nicht auf dem Papier, sondern in einer grossen Werkstatt, die im oberen Stockwerk der Berufsfachschule einen ganzen Raum einnimmt. Die Männer, die hier konzentriert arbeiten und im Baugewerbe Fuss fassen möchten, kommen hauptsächlich aus Afghanistan und Eritrea. Sie sind anerkannte oder vorläufig aufgenommene Flüchtlinge. Die meisten sind unter 25 Jahren – auf diese Zielgruppe ist die einjährige Integrationsvorlehre ausgerichtet. Die Idee ist, dass die Teilnehmer danach in einem der Berufe eine normale Lehre beginnen können. «Sie sollen nach der Integrationsvorlehre auf dem Stand eines Schülers sein, der die obligatorische Schulzeit abgeschlossen hat», sagt der Projektverantwortliche Beat Hanselmann, Leiter Bildung im Verein Polybau.

Schnuppern an mehreren Orten

Startschuss für das Integrationsprojekt war für Angosom Kahase und seine Teamkollegen im August letzten Jahres. Es begann mit einer Grundausbildung zum Thema Arbeitssicherheit, schildert Hanselmann. «Sicherheit ist das A und O, denn wir wollen keine Unfälle auf dem Bau.» Jeder erhielt eine persönliche Schutzausrüstung und Arbeitskleidung. Danach folgte ein dreitägiger, praktischer Einführungskurs pro Beruf. «Die Teilnehmer sollen wissen, mit welchen Werkzeugen sie es im jeweiligen Beruf zu tun haben», erklärt Hanselmann. Dies noch bevor es zum eigentlichen Schnuppereinsatz «auf den Bau» geht. Dort erhalten die Flüchtlinge einen tieferen Einblick in die Berufe – und lernen mögliche Praktikumsstellen kennen. Auch für die Arbeitgeber sei der kurze Einsatz von neun Tagen ein Vorteil: Bei kurzen Einsätzen liege die Hemmschwelle tiefer, die Zusammenarbeit mit Flüchtlingen auszuprobieren, sagt Hanselmann. Und: Darin, dass die Teilnehmer innert kurzer Zeit mehrere Berufe kennenlernen, liege der Unterschied zu anderen Integrationsprojekten.

Am Ende des Schnuppereinsatzes entscheiden sich die jungen Männer –Frauen haben sich keine angemeldet – für ein dreimonatiges Praktikum in einem der Betriebe. Parallel drücken sie die Schulbank in St. Gallen. Sie verbessern ihr Deutsch, büffeln Mathematik und andere berufsrelevante Fächer.

Sprache als Hürde

Obschon Hanselmann eine positive Zwischenbilanz zieht, hätten die letzten Monate gezeigt: Herausforderungen gibt es einige. So hätten die Flüchtlinge Mühe mit dem Schweizerdeutsch, das in den Betrieben und auf dem Bau häufig gesprochen werde. Auch bei der praktischen Einführung sei die Sprache eine Barriere. «Manchmal müssen wir die Dinge mit Händen und Füssen erklären», sagt Kursleiter Pascal Bösch.

Auch der frühe Arbeitsbeginn ist ein Stolperstein – vor allem, weil die Teilnehmer auf frühe Bus- und Zugverbindungen angewiesen sind. Um sechs Uhr morgens auf der Matte zu stehen, sei keine Seltenheit in der Baubranche. «Liegt aber der Betrieb etwas abgelegen, fahren Busse oft nur stündlich», weiss Hanselmann. Das mache es schwierig, für die Flüchtlinge geeignete Schnupperstellen zu finden. Solche Knackpunkte möchte Hanselmann für den Durchgang im nächsten Jahr noch optimieren.

Nicht zuletzt erwiesen sich nicht alle Teilnehmer als geeignet für die Integrationsvorlehre: Ein junger Mann, der mit dem Beruf Dachdecker liebäugelte, musste sich davon verabschieden. Grund: Er litt an Höhenangst.

 

 

Integration in der Küche und im Service

Eine Kombination aus Theorie und Praxis ist auch die Integrationsvorlehre in der Gastronomie. 48 Teilnehmer durchlaufen aktuell die Ausbildung, die zweimal jährlich startet. Die ersten sechs Monate bestehen aus einem Intensivteil : Einen Tag pro Woche sind die Flüchtlinge in der Gewerbeschule St.Gallen, wo etwa Deutsch und Mathematik auf dem Stundenplan steht. Auch besuchen sie die Ostschweizer Gastronomiefachschule . Erste Schritte in der Praxis machen sie während je dreier Tage in den Ausbildungsbetrieben des Kantons (Restaurants Leonardo, St. Gallen und Rüthihof, Rüthi). Im zweiten Halbjahr folgt ein Praktikum in einem der 1300 Restaurants und Hotels des Branchenverbands Gastro St. Gallen. (ran)

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